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Tieftraumreisen – Eine UMC-Novelle:
Jaron Silberman sehnt sich nach erholsamem Schlaf. Keine noch so starke Tablette und kein Hausmittelchen scheint zu wirken. Da erhält er von einem Arbeitskollegen den Hinweis auf ›Ypnotal-VR‹. Verbunden mit einer modifizierten VR-Ray Ban Brille und einer Pille wird der Kunde in ganz besondere Träume geleitet. UMC ist es gelungen, Träume in die erholsame Tiefschlafphase zu verlegen. Der Schläfer wird somit zu einem ›Oneironauten‹, der sein Erleben in festgelegten Szenarien bewusst steuern kann. Silbermans erste Traumreisen sind mehr als erholsam, doch dann läuft etwas schief. Plötzlich findet er sich in einem bedrohlichen Ambiente wieder und er muss um sein Leben bangen. Mordgierige Bestien und etwas gestaltloses Böses heften sich an seine Fersen. Dieser besondere Schlaf ist mehr als bloße Illusion … und Aufwachen ist keine Option.
Diese Edition von „Tieftraumreisen“ des Autors Arthur Gordon Wolf ist nicht auf eine bestimmte Auflagengröße limitiert.
Eine Auflage umfasst jeweils 150 Einheiten. Die Ausgaben wurden von Arthur Gordon Wolf handsigniert.
Sämtliche handwerklichen Arbeiten erfolgten im Verlag.
Die Edition beinhaltet:
- Hardcover mit strukturiertem Leinenbezug - Handarbeit
- Traditionelle japanische Stabbindung - Handarbeit
- Marmoriertes Vorsatzpapier - Handarbeit
- Feinstes cremefarbenes Papier
- Hochauflösender, farbiger Digitaldruck
- Signiert von Arthur Gordon Wolf
- Dünnes einfarbiges Slipcase - Handarbeit
- Jede Auflage auf 150 Stk. limitiert und handschriftlich gekennzeichnet
»Oh Mann! Du siehst aus wie schlecht gekaut und wieder ausgespuckt!«
Jaron Silberman schaute von seinem Monitor auf. Neben ihm stand Porky, mit richtigem Namen Frank Porkowicz, sein Kollege aus Kubus C17. Alle Arbeitsbereiche der Werbeagentur waren in identische Quadrate von 2 x 2 Metern Größe eingeteilt, jeweils nur durch eine dünne Stellwand voneinander getrennt. Sibermans kleines Reich befand sich direkt hinter Porkowicz in B19. Als der hünenhafte CCS (Corporate Communications Specialist) nun neben ihm stand, schrumpfte der Raum in klaustrophobische Dimensionen.
»Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen«, sagte Silberman leicht angesäuert. Er warf einen Blick auf die Monitoruhr. »Übrigens bist du wieder einmal 3 Minuten und 42 Sekunden zu spät dran.«
Porkowicz machte eine beschwichtigende Geste. »Die CEOs und Konsorten sollen sich nur nicht so anstellen. Das Shuttle ist in einen kleinen Stau geraten. Was kann ich dafür?«
»Vielleicht könntest du früher losfahren«, schlug Silberman vor.
Der CCS stieß ein kurzes Lachen aus, was aufgrund seines Körpervolumens und des geringen ihn umgebenden Raumvolumens beängstigende Dezibelwerte erreichte. »Jetzt hör aber auf, Jar! Du klingst ja beinahe wie meine Mutter. Ich brauche einfach mein Frühstück mit allem Drum und Dran. In absoluter Ruhe, verstehst du? Wenn ich das nicht habe, bin ich für den ganzen Tag nicht zu gebrauchen. Ein gestresster Porkowicz wäre wenig effektiv für die Firma.«
»Wenn du es sagst.« Silberman bezweifelte, ob sein Kollege überhaupt wusste, was das Wort Stress bedeutete. Er hatte den fülligen Riesen bislang jedenfalls nur gut gelaunt und entspannt kennengelernt. Sein tiefes sonores Lachen konnte man oft in der gesamten Abteilung hören.
Porkowicz dachte aber auch jetzt nicht daran, an seinen Arbeitsplatz zu gehen; stattdessen beugte er sich zu Silberman herab und stützte sich dabei auf der Arbeitsplatte ab.
Die Traglast des einfachen Tisches kam damit an seine Grenzen.
»Aber mal im Ernst«, murmelte er vertraulich. »Du siehst echt beschissen aus, Jar. Bist du krank? Oder hast du Beziehungsstress?«
Silberman seufzte. »Beziehungsstress? Du weißt genau, dass ich seit vier Jahren geschieden bin. Und was sich seitdem in Sachen Frauen abgespielt hat, kann man kaum unter die Rubrik Beziehung setzen.«
»Hatte ich also recht. Fehlender Beziehungsstress.«
»Blödsinn. Ich komme auch ganz gut allein zurecht. Nein. Ich habe nur Schlafprobleme. Kaum eine Nacht kann ich mehr als zwei, drei Stunden durchschlafen. Meist liege ich wach im Bett und starre ins Dunkel. Es ... es macht mich noch verrückt.«
»Hmm«, machte Porkowicz. »Und was ist mit Schlaftabletten?«
»Da habe ich alles durch. Von Melissentee und Baldrian über Somna-Forte und Xerrax bis hin zu Thalompram und Valioxetin. Entweder wirkt das Zeug überhaupt nicht oder es haut mich um wie mit einem Dampfhammer gefällt. Dann schlafe ich zwar durch, wache aber mit einem Schädel von der Größe der Nördlichen Föderation auf. Von den gesundheitlichen Nebenwirkungen ganz zu schweigen. Nein danke. Und komm mir bloß nicht mit Hausmittelchen wie warme Milch mit Honig! Vergiss es! Ich habe sogar versucht, mir mehrere Folgen von ›Say Your Shit‹ anzuschauen, alles ohne Erfolg. Außer Kopfschmerzen und wachsender Verblödung natürlich.«
»Das hört sich wirklich wie ein kniffliger Fall an. Hast du es denn schon mit Ypnotal-VR versucht?«
»Ypnotal? Was soll das sein? Ein weiteres Sedativum?«
»Ja und nein. Es ist noch nicht lange auf dem Markt. Ein neues Schätzchen von UMC. Ich selbst habe es schon ausprobiert.«
»Du? Seit wann leidest du unter Schlaflosigkeit?«
»Überhaupt nicht. Ich habe es mir nur wegen seiner interessanten Nebenwirkungen besorgt.«
»Und die wären?«
»Ypnotal-VR ist eine Kombination aus einem bestimmten Sedativum und einer virtuellen Hirnstimulation. Man kann damit auf virtuelle Reisen gehen, aber ohne aufwendige Data-Coveralls und Steady-Grounds. Es genügt eine leicht modifizierte VR-Ray-Ban.«
»Schön und gut«, sagte Silberman, »jedes Kind weiß aber, dass Träume zwar wichtig sind, die wirkliche Erholung jedoch in den tieferen, traumlosen Schlafphasen stattfindet.«
»Das ist ja gerade das Tolle an dem Zeug«, sagte Porkowicz. »Den Leutchen bei UMC ist es gelungen, Träume in die Tiefschlafphase zu verlegen. Du träumst und dein Körper erholt sich trotzdem.«
»Und was sind das für Träume?«
»Och, im Grunde nichts Besonderes. Man kann zwischen verschiedenen Szenarien wählen. Ein Palmenstrand am türkisfarbenen Meer, ein Heißluftballon über einsamen Flussauen und Feldern, eine Waldlichtung oder eine sonnige Wiese. Wunderschöne, ruhige Orte. Ich habe mich immer für die Wiese entschieden. Ist herrlich entspannend, sag ich dir. Als ich meiner Tochter davon erzählte, hat sie die Gegend sofort wiedererkannt. Die Wiese stammt offenbar aus ihrem VR-Spiel ›Meine kleine Farm‹.« Er kicherte. »Zweitverwertung nennt man sowas wohl.«
»Klingt interessant«, gestand Silberman. »Seltsam, dass ich noch nichts davon gehört habe.«
»Tja, da hat unsere Konkurrenz wohl keine gute Arbeit abgeliefert. Vielleicht sollte ich mal bei UMC anrufen und nachfragen, ob wir nicht die Kampagne übernehmen können.« Er tippte auf die Uhr am Monitor. »Oh-ha! Da quatsche ich und quatsche und vergesse dabei ganz die Zeit. Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich jetzt doch in meine Wabe begebe. Man sieht sich zur Mittagspause, Jar. Porky, das fleißige Bienchen, düst im Sturzflug davon.«
Bienchen?, dachte Silberman. Wenn er an die Statur seines Kollegen dachte, hätte wohl eher ein Emu gepasst. Vorausgesetzt, der Emu hätte zwei Tonnen Gras gefressen und wäre in der Lage zu fliegen. Im allgemeinen Trubel vergaß Silberman schnell wieder das Gespräch. Kurz vor Mittag erhielt er zudem eine äußerst dringende Änderungsanfrage für eine Joghurtreklame, und so verpasste er die Pause und damit auch Porkowicz. Ein typischer Tag bei Woodbury, Coogan & Lee. Es war bereits neun Uhr, als Silberman endlich in seine Wohnung zurückkehrte. Mit 7 x 7 Metern war das Appartement zwar nur eine leicht vergrößerte Variante seines Arbeitsplatzes, aber immerhin gehörte jeder einzelne Quadratzentimeter ihm. Außerdem hatte er hier seine Ruhe. Niemand störte ihn mit Aufträgen, die am besten gestern fertig zu sein hatten.
»Hallo, Jar«, begrüßte ihn INA, als er die Wohnungstür aufschloss. »Ich hoffe, du hattest einen schönen Tag. Du bist spät dran. Wieder Überstunden?«
»Hallo, INA.« Silberman seufzte. »Du kennst das ja. Ohne mich scheint die Firma einfach nicht zurechtzukommen.«
»Dann solltest du vielleicht mal wegen einer Beförderung nachfragen. Wenn ich mir deinen monatlichen Gehaltsscheck so betrachte, ist da noch jede Menge Luft nach oben.«
»Wem sagst du das! Ich fürchte nur, dass sich meine Gehaltsvorstellungen und die der Vorstandsetage deutlich unterscheiden werden. Meine Chefs glauben ja jetzt schon, sie würden ihren Angestellten zu viel bezahlen.«
»Dann wird’s aber allerhöchste Zeit, denen da oben mal die Leviten zu lesen!«
»Ach, warum können nicht alle so denken wie du, INA.« Er liebte seine Gespräche mit ihr. INA war die Abkürzung für Interaktiver Neuromorpher Assistent, eine sprachgesteuerte künstliche Intelligenz, die alle Bereiche der Wohnung steuern konnte. INAs Aufgaben umfassten Licht und Heizung, Klimaanlage, Reinigung und Anrufbeantworter, aber auch Diebstahlsicherung, Terminplanung und Haushaltsführung. Besonders aber gefiel Silberman ihr Plaudermodus. INA, die er mit der verführerisch rauchigen Stimme einer schlanken Brünetten programmiert hatte (so stellte er sich sein Intercom jedenfalls vor), gab nämlich alles andere als belanglose Plattitüden von sich. Die KI-Einheit verstand komplexe Sinnzusammenhänge; sie speicherte die Eigenschaften, Gewohnheiten, Hobbys und Wünsche seiner Bewohner und brachte sie mit aktuellen Situationen in Zusammenhang. Auf diese Weise war INA oft aufmerksamer und mitfühlender, als so manche menschliche Ehefrau.
Silberman schlurfte in die Küche, um sich ein einfaches Fertigmenü in die Mikrowelle zu schieben. Für die Zubereitung frischer Zutaten fehlte ihm einfach die Geduld.
Aber auch das Geld.
Frischer Salat, Gemüse aus Bodenhaltung oder gar Obst mussten von weit entfernten Regionen importiert werden und waren daher recht teuer. Mehrere Generationen seiner Vorfahren hatten durch Raubbau und chemische Verunreinigung dafür gesorgt, dass Landwirtschaft in einem weiten Radius um die Stadt unmöglich war.
»Irgendwelche interessante Neuigkeiten?«
»Eigentlich nicht«, antwortete INA. »Da du dich nicht für Börsendaten, Politik oder Promigeflüster interessierst, kann ich dir nur den Wetterbericht für morgen anbieten. Ist aber langweilig: 24 bis 26 Grad bei leichtem Südostwind. Leichte Schleierwolken gegen Nachmittag. Regenwahrscheinlichkeit: 12%.«
»Wie aufregend.«
»Ich hatte dich gewarnt.«
»Ach, ich habe doch was für dich. Schau doch bitte mal, was du über ein Schlafmittel von UMC findest. Heißt irgendwie wie Hypnose oder so. Hypno-Dingsda.«
»Meinst du etwa Ypnotal-VR?«
»Das war's. Warum hast du es mir bei meinen früheren Suchen eigentlich nicht vorgestellt?«
»Tut mir leid, Jar. Ypnotal-VR ist erst seit einem Vierteljahr im Handel und ist nicht als offizielles Schlafmittel gelistet.«
»Nicht? Als was denn dann?«
»Laut Hersteller ist es ein Freizeit-und Erlebnis-Set. ›Genießen Sie Ihre Träume‹, heißt es dort. ›Entspanntes Träumen und erholsamer Schlaf müssen sich nicht ausschließen.‹«
»Freizeit und Erlebnis? Na toll! Schick mir mal den Trailer auf den Screen.«
Nur Sekunden später materialisierte sich die Figur einer attraktiven Blondine in seinem Wohnzimmer. Hinter ihr drehte sich langsam das UMC-Logo. Die 3D-Projektion war so störungsfrei, dass man Mensch wie Buchstaben mit den Händen zu greifen glaubte. Die junge Dame trug einen weißen Kittel, der ihr offenbar den Anschein von Seriosität und Kompetenz geben sollte.
Silberman, der nur zu gut wusste, wie es in dem Geschäft lief, bezweifelte, ob Blondie überhaupt den Namen des von ihr angepriesenen Präparats richtig buchstabieren konnte.
»Wollen Sie auch mehr als einfach nur schlafen?«, fragte sie ihn soeben. »Suchen Sie nach Entspannung und angenehmen Träumen? Nach Träumen, die Sie selbst bestimmen können? Und an die Sie sich nach dem Erwachen bestens erinnern können? Dann ist Ypnotal-VR genau das Richtige für Sie.« Bei diesen Worten hielt sie eine weiße Schachtel mit gelbem Aufdruck in seine Richtung. »Wir von UMC haben ein besonderes Präparat entwickelt, das in Verbindung mit modernster VR-Technologie Träumen im Tiefschlaf ermöglicht. Sie ...«
»Stopp!«, rief Silberman dazwischen. Sofort beendete die Frau ihren Vortrag und schaute ihn abwartend an. Er räusperte sich kurz. »Frage: Wie genau funktioniert dieses neue Verfahren?«
»Mittels TMS«, antwortete Blondie. »Transkranielle Magnetstimulation löst Aktionspotentiale aus, die sich auf das Verhalten der Neuronen im oberen Hirnstamm auswirken. Diese Aktionsmuster werden vom Cortex interpretiert. Ypnotal-VR sorgt nun dafür, dass dieses Interpretieren und Dechiffrieren gesteuert geschieht.«
»Gesteuert?«, fragte er. »Was genau heißt das?«
»Nun, die neuronale Stimulation wird mit künstlichen Alphawellen zwischen 8 und 14 Hz gekoppelt. Über diese Wellen werden VR-Signale transportiert, die festgelegte Szenarien beinhalten. Ähnlich wie bei normalen VR-Spielen. All das geschieht diesmal aber, während gleichzeitig Thetawellen dominieren, der Körper sich also im Tiefschlaf befindet.«
»Und das funktioniert alles nur mit einer Kapsel, die man schluckt?«
Die Blondine nickte. »Zusammen mit einer modifizierten VR-Brille, die gleichzeitig TMS und virtuelle Bilder aussenden kann.« Wie aufs Stichwort erschien eine schwarze Ray Ban in ihrer linken Hand. »Einfach aufsetzen, Ypnotal-VR nehmen und los geht die wundersame Traumreise. Ypnotal-VR, die atemberaubende Kombination aus intelligenter Chemie und millionenfach erprobter VR-TECHNOLOGIE! Mit ...«
»Stopp! Und ich kann mich nach dem Aufwachen wirklich noch an alles erinnern?«
»Aber ja!«, bestätigte Blondie strahlend. »Wo bliebe denn sonst der ganze Spaß? Wir könnten ja alles Mögliche behaupten, wenn der Träumer nach dem Aufwachen keinerlei Erinnerung an all die VR-Simulationen mehr hätte, nicht wahr? Aus diesem Grund garantieren wir sogar den Erinnerungseffekt. Ypnotal-VR erzeugt einen gesteuerten Klartraum. Immer und immer wieder. Bestellen Sie noch heute diese unvergleichliche Form der Entspannung und schon morgen können Sie als Oneironaut neue Welten erkunden.«
»Oneiro ... was?«
»Ein Oneironaut. Ein Träumer, der seine Traumwelt in vollstem Bewusstsein durchschreitet. Mit all seinen Sinnen versteht sich. Sie sehen, hören, fühlen, riechen, ja, Sie schmecken sogar Ihren Traum. Und das alles schlafend, ohne teuren Data-Coverall und Steady-Ground. Der Preis von Ypnotal-VR ist daher unschlagbar niedrig.« Silberman ließ sich den Preis für das Einsteiger-Set einblenden.
Der Betrag war immer noch beachtlich, er lag aber deutlich unter dem für komplette VR-Spiele. Schon ein vernünftiger Steady-Ground, auf dessen rotierender Oberfläche ein VR-Spieler unendliche Schritte ausführen konnte, kostete mehr als das komplette Set.
»Können wir uns den Spaß leisten?«, fragte er vorsichtshalber INA.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Er erahnte beinahe ein Schmunzeln in der Stimme. Konnten künstliche Schaltkreise schmunzeln?
»Einen Kredit musst du deswegen nicht aufnehmen, falls du das befürchtest. Die Klimaanlage sollte in nächster Zeit nicht kaputtgehen. Ich würde dir auch raten, deinen Konsum von Koa einzuschränken.«
Koa war eine teure Zartbitterschokolade, für die Silberman eine Schwäche hatte. Sein wachsender Bauch war der beste Beweis dafür.
»Och, sei nicht so streng zu mir«, beschwerte er sich.
»Du wolltest doch eine ehrliche Antwort, oder? Außerdem werden es dir deine Cholesterinwerte danken.«
»Wie sieht es aus?«, fragte nun auch Blondie. Sie kam einige Schritte näher, sodass er im Auschnitt des Kittels ihre vollen Brüste erahnen konnte. »Habe ich Ihr Interesse geweckt? Bestellen Sie Ypnotal-VR noch heute, und schon morgen können Sie als Oneironaut neue Welten erkunden. Ypnotal-VR, die atemberaubende Kombination aus intelligenter Chemie und millionenfach erprobter VR-TECHNOLOGIE. UMC – Ihre Träume sind unser tägliches Brot.«
Silberman starrte auf Blondies Ausschnitt und dachte an die vielen durchwachten Nächte. Ein derart attraktives Angebot konnte man einfach nicht ablehnen.
»Sie haben mich überzeugt«, sagte er schließlich. Binnen Sekunden orderte er das Einsteiger-Set mit fünf meditativen VR-Szenarien. »Und wehe, es funktioniert nicht«, drohte er in scherzhaftem Ton.
Blondie schenkte ihm ein betörendes Lächeln. »Wie alle UMC-Produkte, so ist auch Ypnotal-VR selbstverständlich mit einer 12-monatigen Zufriedenheitsgarantie versehen. Sollte Ihnen unser Produkt wider Erwarten nicht gefallen, so können Sie es jederzeit an uns zurückschicken. Ohne jede Begründung. UMC erstattet Ihnen auf jeden Fall den vollen Kaufpreis. UMC – Einkaufen ohne Risiko. Sie kommen als Kunde und gehen als Freund.« Sie warf ihm eine laszive Kusshand zu. »Vielen Dank für Ihren Kauf und viel Spaß mit Ypnotal-VR. Ich würde mich freuen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen.« Sie drehte sich um, wobei sie perfekt ihren ausladenden Hintern präsentierte und verschwand dann in die unendlichen Weiten des Cyberspace.
»Hätte nichts dagegen, DICH wieder bei mir begrüßen zu können«, murmelte Silberman. »Aber nicht als Holoanimation.«
»Wie bitte? Ich konnte dich nicht genau verstehen, Jar.« Typisch INA. Neugierig wie die sprichwörtliche Katze. Er grinste. Konnten KI-Einheiten etwa Eifersucht entwickeln?
»Oh, ich hab nur laut gedacht«, antwortete er. »Es war nichts Wichtiges. Schau bitte mal nach, ob du irgendwo eine Sendung zum Abendessen findest, die keine Hirnzellen abtötet.«
»Gern. Ich hätte da Verschiedenes im Angebot: eine philosophische Diskussionsrunde über den Rationalismus bei Decartes, Spinoza und Leibnitz, ein Wissenschaftsmagazin über die Suche nach extraterrestrischen Lebensformen, eine Naturdokumentation über den Grand Canyon, eine Sportübertragung der ...«
»Reicht schon!«, unterbrach er seinen virtuellen Butler. »Ein Bericht über den Grand Canyon wäre im Moment genau richtig.«
Während Silberman sein fades Fertiggericht verspeiste, glaubte er, wie ein Adler über dem schäumenden Colorado zu schweben, während an den Ufern riesige Felswände die räumliche Enge durchbrachen und hinauf in einen tiefblauen Himmel strebten. Die Bilder der majestätischen Landschaft verfehlten ihre Wirkung nicht. Irgendwann kippte er auf dem Sofa zur Seite und schlief ein.
Silberman erwachte in beinahe vollkommener Dunkelheit. INA hatte vorsorglich den Holoscreen ausgeschaltet und alles Licht in der Wohnung auf ein Minimum gedimmt. Nur vom Flur her drang ein roter Schimmer der aktivierten Alarmanlage zu ihm herüber.
»INA? Wie spät ist es?«
»3 Uhr 42 und 29 Sekunden. Kann ich dir irgendwie behilflich sein, Jar?«
»Nein danke, INA. Alles okay.« Aber es war eben nicht alles okay. Es blieben noch genau zwei Stunden und 48 Minuten, bis er aufstehen musste. 168 grässliche Minuten, die wie tonnenschwere Gewichte auf seiner Brust lasteten. Er schloss die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen, doch es wollte einfach nicht gelingen. Da sich der Weg ins Schlafzimmer ohnehin nicht mehr lohnte, wälzte er sich unruhig von einer Seite zur anderen. Silberman kämpfte einen aussichtslosen Kampf. Jede Position, die er einnahm, wurde schon nach kurzer Zeit unerträglich. Es war ein Teufelskreis. Je mehr er sich anstrengte, Ruhe zu finden, umso nervöser wurde er. Je nervöser er wurde, umso schneller schlug sein Herz. Auch ohne INAs Hinweis spürte er, dass sich sein Puls jenseits der 120er-Schwelle befand. Sein verrücktes Hirn ließ ihn joggen, obwohl er keinen einzigen Muskel bewegte. Stöhnend setzte er sich auf. Schon jetzt war er da, dieser dumpfe Druck in der rechten Schläfe, der sich bis zum Vormittag in einen migräneartigen Schmerz verwandeln würde. Allen Medikamenten zum Trotz. Wunderbar! Wieder eine von diesen Horrornächten.
Mit halb geöffneten Augen schleppte er sich in die Küche, um sich einen prophylaktischen Mix aus Acetylsalicylsäure, Morphin und Phenazon zu brauen. Das Zeug würde zwar nur unzureichend anschlagen, ganz ohne aber wäre er bald lethargischer als ein Replikant mit zerschossener Festplatte. Unfähig, auch nur einen kreativen Gedanken zu entwickeln.
In zittrigen Kreisen massierte er sich mit Zeige- und Mittelfinger die pochende Stelle. Er brauchte unbedingt dieses Ypnotal. Jetzt. Sofort. Am besten gestern.
Arthur Gordon Wolf, Jhg. 1962, Ex-Fitness-Trainer, Ex-Lehrer, hat nach 20 Jahren seinen sicheren Beamten-Job an den Nagel gehängt, um endlich mehr Zeit fürs Schreiben zu haben.
Egal ob Crime, Fantasy, SF oder Horror, stets spielt das Element des ‚Doppelbödigen‘, des ‚Unheilvollen‘, ein zentrales Motiv. Seine Arbeiten sind bislang in diversen Magazinen wie „MADAME“, „c’t“ und „phantastisch!“ erschienen sowie in mehreren Anthologien u.a. bei Grafit, Bastei Lübbe, Fabylon, Voodoo-Press und LUZIFER - ein SF- Hörspiel beim SDR/SWR und HR. Sein bislang umfangreichstes Werk ist ein düster-erotischer Thriller mit phantastischen Elementen („Katzendämmerung“), der 2013 bei LUZIFER erschien. 2016/17 folgte mit »KALLIOPE« ein regionaler Thriller. Zwischenzeitlich tüftelt Wolf auch an seiner dystopischen UMC-Welt, von der diverse Erzählungen und Novellen erschienen sind. 2020 erschien bei KOVD eine Neuausgabe seiner Novelle „DIE WEISSEN MÄNNER“ sowie in der Reihe 'Appetizer' die Novelle "Blu Ize". Bei BLITZ die zweibändige Ausgabe seiner „MADENJÄGER“ („MR. MUNCHKIN“ & „RED MEADOWS“).
Foto: Uwe Schinkel
Kundenrezensionen
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Richtig schönes handgefertigtes Büchlein für kleines Geld. Die Aufmachung ist ein absoluter Blickfang, es wurde sehr wertig gearbeitet. Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen und lässt keine Wünsche offen. Kann jedem Buchliebhaber nur dieses tolle Büchlein weiterempfehlen. Geschichte hat mir sehr gut gefallen und lässt keine Wünsche offen. Kann jedem Buchliebhaber nur dieses tolle Büchlein weiterempfehlen.
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